Julias Trends – Frühlingsgefühle 2021

Der Winter war lang, der Winter war richtig kalt. Der Lockdown wurde zu einem wahren ‚Flockdown‘, in dem ich bei Schneefall meine goldenen Moonboots angezogen habe (und in meiner Vorstellung durch das mondäne St. Moritz stapfte – nach einem herrlichen Skifahrtag wohlgemerkt, mit Pulverschnee und Sonnenschein und am Besten einem Glas Champagner in der Hand). Die Realität war der Spaziergang auf einem vereisten Kanal oder rund um den Kleinhesseloher See im Englischen Garten mit meinem Freund und der Frage: Wo gibt es hier was Warmes zu Trinken? Umringt von Polizeiautos, die über all das wachten. Und ich habe diese Momente in der verschneiten Natur dennoch genossen – und die heiße Schokolade zuhause bei Kerzenschein.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ich habe mal gelesen, dass sich auch manche Pflanzen an eine ganz enge Umgebung anpassen, sich aber natürlich nur bedingt in Pracht und Blüte entfalten. Manchmal dachte ich daher im Winter, meine Hintern würde mit der Couch oder meinem Schreibtisch-Stuhl zusammenwachsen oder ich würde wie ein Tiger im Zoo hin und her laufen. Abgesehen von ein paar Mini-Pfündchen mehr auf der Hüfte konnte ich der winterlichen Trägheit und all den Ausgangsbeschränkungen mit kreativen Aufgaben, inspirierenden Büchern und täglichen Spaziergängen entgegenwirken. Und die Gitter und Käfige, die sind bekanntlich nur in unseren Köpfen.

Nachts träumte ich wiederholt von ungeahnten Urlauben am Meer und dem gleichzeitigen Gefühl, meinen Rückflug zu verpassen. Ein Klassiker. Sigmund Freud dürfte das weiter für mich analysieren, aber den gibt es nicht mehr. Zwischenmenschlich fand ich das erste Quartal teilweise auch sehr herausfordernd. Wer tut mir gut, wer zieht mich weg von mir selbst? Wer kritisiert alles und ständig? Und wer hat eigentlich keinen Platz mehr in meinem Umfeld und in meinen Gedanken verdient, weil er/sie ständig über mich urteilt? Und die Antwort lautete ganz klar: Raus aus dem Quark an Negativität. Vergeben und tschüss – keine weiteren Fragen! (Und klar, das dauert, es passiert nicht über Nacht, aber ich habe gelernt, dass man aus den schlimmsten Tiefen mit enormer Kraft herausgeht!)

Blütenpracht 2021

Und jetzt endlich: Frühling, Wärme, die Natur blüht auf! Wachstum! Ich liebe das frühmorgendliche Vogelgezwitscher, die Zeitumstellung auf mehr Licht am Abend. Ich mag in der Früh das Warnsignal des Rückwärtsgangs der Müllabfuhr und das orangene Licht, das sich durch die aufwachende Straße blinkt und den einen Mitarbeiter, der seit Jahren hochschaut, um mir zu winken und mich zu begrüßen. Doch während ich wie Ernie aus der Sesamstraße meinen Blumenkasten vor mir habe und es darin wächst und gedeiht, hat dieser Ablauf was noch Schöneres. Das Rotkehlchen singt sich auf dem Baum nebenan die Seele aus dem Leib (und so weiß ich, dass sich eben doch alles weiterentwickelt)und während ich eine Instagram-Story mache mit eben diesem Gesang, singt es danach noch lauter, wenn ich die Story mit Ton auf dem Balkon abspiele. Ist das gemein, das Rotkehlchen so hinter’s Social-Media-Licht zu führen? Ahahaha, nein, ich habe das Handy gleich wieder weggetan 😉

Der Postbote begrüßt mich wenig später fröhlich auf dem Fahrrad, wenn ich verschwitzt an ihm – wegen den Mini-Pfündchen – vorbeijogge. Wie geht’s Dir? fragt er mich mit seinem spanischen Akzent. Und das so voller Interesse.

In unserem Hausflur höre ich ihn normalerweise laut spanisch telefonieren, während die Briefkästen klappern. Er versprüht Energie und Lebensfreude, während Corona immer noch vieles lahm legt.

Ja, es ist diese klitzekleine Frage, die so wichtig geworden ist. Statt dessen habe ich in den letzten Wochen so oft erlebt, wie sich manch einer noch über andere lustig macht oder herabwürdigt. Braucht es Arroganz, Feindseligkeit und Aggression in so einer Zeit? Wie viel geiler ist gegenseitiges Interesse und Fürsorge – echtes Wohlwollen!

Ich mochte schon immer das amerikanische ‚Hey, how are you?‘ Es ist das Interesse am anderen, das fröhlich Motivierende. Viele kritisieren dies als Floskel. Es ist vielleicht dort die rhetorische Frage, die ein automatisches ‚Danke, gut‘ erwartet. Aber gerade bei so einem Dauer-Lockdown ist es so wichtig, das Gute im Kleinen zu sehen. Es ist der Beginn eines Gesprächs, während sich manch einer vor Angst komplett isoliert und einsam fühlt. Wir brauchen einander, bei aller Eigenverantwortung. Und während die Corona-Mutante das Osterfest oder die Zeit danach zu vermiesen droht, sind ein Lächeln oder Zuwinken, das miteinander Reden und das simple ‚Wie geht’s Dir (wirklich)?‘ zu einem kleinen wertvollen Frühlings-Bonbon für mich mutiert.

Während ich die Natur um mich herum aufblühen und ohne den gefühlten Käfig an Einschränkungen aufbrechen sehe, denke ich: wir könnten uns ein Beispiel an ihr nehmen, indem wir die Sonne genießen, groß und weit, süß statt bitter denken – und das alles als eine Herausforderung für unser persönliches Wachstum betrachten.