Die Nachrichten berichteten von zunehmender Trockenheit in Deutschland. Nur hier im Süden merkte man davon nicht allzu viel. Es regnete gefühlt ständig. Meine Tomatenpflanzen und Kräuter wuchsen empor, alle freuten sich auf den Sommer und ich wollte einfach endlich mal raus. Freiheit. Ich sehnte mich nach Sonne, Strand und Meer. Aber es sollte für mich erst mal keinen Meer-Urlaub geben, während einige meiner Freunde schon fleißig ihre Reisen planten. Bei mir gab es zu viel anderes zu klären. Meine größte Reise diesen Sommer war deshalb ein Besuch in der Heimat bei meiner Mom, die ich wegen Corona seit Monaten nicht gesehen hatte. Ein Dozent von mir hat mal gesagt: ‚Halte die Menschen in Verunsicherung, dann bleiben sie aktiv.‘ Ich finde den Satz sehr bezeichnend und es steckt viel Wahrheit darin. Corona ist so eine Verunsicherung, dass es vielen Menschen schon rein gedanklich und über all die geschürten Ängste teilweise schon die Luft zum Atmen nimmt.
Dieser Text soll das Gegenteil bewirken. Deshalb erzähle ich Euch mehr über diese kleine Reise.
Das Wetter war endlich auf unserer Seite, als wir den Besuch planten. Wir hatten das uns bekannte Boutique-Hotel gebucht. Ein bisschen mit Südfrankreich-Charme. Ich freute mich schon wie ein Schnitzel, über die Autobahn zu rauschen. Wenigstens das. Mal wieder am Steuer sitzen. Durchstarten. Ich liebe Autofahren. Wir genossen die Fahrt und ich die Vorfreude. Und auch bei unserer Ankunft war das schönste Sommerwetter. Wir wollten nur schnell ins Hotel einchecken und dann weiter zu meiner Mutter. In dem ausgewählten Hotelzimmer herrschte schon mittags Backofenhitze. Bei solchen überhitzten Zimmern muss ich immer sofort an den Film ‚Der Liebhaber‘ denken. Bei uns stand allerdings nur ein unsexy Plastik-Ventilator auf dem Boden. Trotzdem hatten wir so schöne Erinnerungen an unsere Aufenthalte dort und dachten: Ach, was soll’s, die eine Nacht…
Mit verschiedenen Törtchen aus dem Lieblings-Café meiner Kindheit und Coffee to go fuhren wir zu meiner Mama. Ich freute mich so, sie endlich zu sehen. Die Pflegerin fürchete sich besonders vor Corona und so betraten wir die Wohnung mit Mundschutz und ‚Winke Winke‘ zur Begrüßung. Sofort ging es auf den Balkon raus, damit jede Bazille sich in der frischen Sommerluft verflüchtigen konnte. Covid 19 – Sommer 2020. Kaum saßen wir auf dem Balkon, ließ eine kräftige Böe den riesigen Sonnenschirm von der obersten Etage davonsegeln. Glücklicherweise wurde keiner erschlagen, unten vor dem Haupteingang. Der Mann rannte schon eilig das Treppenhaus hinunter. Alle in Angst vor Corona und dann treibt ein riesiger Sonnenschirm sein Unwesen…. aber es passierte nichts und wir aßen wenig später fröhlich und unter dem festgebundenen Schirm unsere Törtchen. Kindheitserinnerungen. Dieses verdammt süße Nusstörtchen mit der goldenen Haselnuss auf dem klebrigen Zuckerguss. Köstlich wie immer.
Abends waren wir zum Essen mit Freunden verabredet. Wir genossen diesen lauen Sommerabend in vollen Zügen mit ebenfalls delikatem Essen und viel Wein. In der Nacht, leicht betrunken und erschöpft von dem ereignisreichen Tag, betraten wir unser Hotelzimmer. Es war so unerträglich heiß. Und ich dachte: Ok, ein paar Stunden Schlaf und dann in die nächste Kindheitserinnerung hüpfen: Das herrliche Schwimmbad, in dem ich quasi groß geworden bin.
Irgendwie schliefen wir mehr oder weniger ein paar Stunden. Wir wälzten uns hin und her. Wie zwei an den Strand gespülte Fische schnappten wir nach frischer Luft. Ich träumte von der großen Wasserrutsche, die mich schon als Kind ins erfrischende Wasser spülte… bis ich von den Autos, die am Hotel vorbei brausten, wieder aus dem Schlaf gerissen wurde. Ich sprang auf und zerrte den Mann erst zum Frühstück (ja, auch dieses war durch Corona-Maßnahmen eingeschränkt) in der Morgensonne und dann in jenes Schwimmbad. Ach, Julia, muss das heute sein? Ja, wann den sonst! Meine Mom erwartet uns erst in drei Stunden.
Ich hatte richtig Herzklopfen, als wir dorthin fuhren. Vor dem Eingang roch ich diesen bekannten Schwimmbad-Chlorgeruch. Ich freute mich auf den Blick über die Stadt. Es war gerade mal 9 Uhr und total leer. Nur wir, ein paar Leute, das gepflegte große Luxus-Bad über den Weinbergen und mit Blick über die gesamte Stadt und den Taunus. Er wollte skeptisch bleiben, aber ich merkte, wie er sich wohlfühlte und es dort genoss, aber es nicht zugeben wollte. Wir schwammen brav unsere Bahnen – mit Abstand – und sonnten uns anschließend auf den warmen Steinen. Herrlich. Der Sommer war noch in den Startlöchern. Alles wirkte so frisch und klar.
Danach wollte ich plötzlich zum Friedhof, was ich sonst nie will. Es war mir plötzlich ein riesiges Anliegen, auch das Grab meines Vaters zu besuchen. Julia, muss das heute auch noch sein? Ja, wann denn sonst? Ach komm, bitte… Ich kaufte vorher eine seiner Lieblingspflanzen, um sie dort einzusetzen. Normalerweise bin ich am Grab total verspannt, fühle mich unwohl. Vielleicht lag es an meiner Begleitung, aber an diesem Sommertag brachte mich eine skurrile Situation auf dem Friedhof dort erstmals zum Lachen. Erst dachte ich beschämt, das dürfte man nicht. Aber ich fühlte mich zum ersten Mal nicht alleine an diesem Stein, wo ich schon so viel geweint hatte. Wir machten alles sauber und wieder schön. Wir konnten ein bisschen Humor gepaart mit Liebe dorthin bringen. Und mein unerwartetes Lachen war ein total befreiender Moment für mich. Als würde ich innerlich Ketten sprengen und sich eine fette, ätzende Blockade lösen. Und ich hatte das Gefühl, mein Vater hätte mit uns gelacht. Er hätte sich gefreut, dass wir die Tristesse, Trauer und Tragik mit Humor vertreiben konnten, denn er hätte es genau so getan und sich gewünscht, dass dies passiert.
Erleichtert und beschwingt fuhren wir zurück zu meiner Mutter. Und wir schwärmten von dem, was wir in der kurzen Zeit alles unternommen hatten. Wir genossen die gemeinsame Zeit, konnten sie aufheitern und unterhalten. Das Wetter hätte schöner nicht sein können, die Backofen-Nacht schnell vergessen. Ich ließ es mir nicht nehmen, sie doch zu umarmen und zu küssen. Mein Herz sagte das. Und wir brauchten das. Das Leben und die schönen Momente genießen, aufsaugen. Sich zeigen, nach der monatelangen Distanz, dass man sich liebt und trotzdem voller Rücksicht auf den anderen ist. Es war ein Besuch, der meinen Sommer ohne Urlaub besonders gemacht hat. Eine Reise in die Kindheit und Jugend. Eine Reise durch Erinnerungen und auch Trauer. Chlorgeruch vom Poolwasser in der Nase, Nusstörtchen-Geschmack im Gaumen und dabei insgesamt von der Sonne und den Liebsten geküsst. Vielleicht anders, aber fast so schön wie ‚Strand und Meer‘ oder gar wertvoller?!
Ein Besuch bei Mama, welcher mit Mundschutz und Desinfektionsgel begann und mit Dankbarkeit darüber endete, dass ich wenigstens sie noch richtig umarmen konnte. Auf der langen Rückfahrt hatte ich noch das verschmitzte Lächeln meines Vaters vor Augen.
Vielleicht ist das die besondere Kunst im Leben: Schwere in Leichtigkeit zu verwandeln. Vorsicht und Ängste mit Liebe zu ummanteln. Komplett auf sein Bauchgefühl und die Intuition zu vertrauen. Und letztendlich aus jedem Drama auch eine Komödie schreiben zu können.