Anfang des Jahres ist man üblicherweise voller Pläne und Tatendrang. Bei mir ist das zumindest so. Ich weiß, dass die guten Neujahrsvorsätze oft nach dem dem ersten Neujahrslauf (boah, ich fühle mich wie Rocky Balboa, der aufgrund seines harten Trainings den verschneiten Berg erklimmt) oder noch einem Zweiten wegen ‚zu schlechten, kalten Wetters‘ oder ‚ey, ik hab Rücken‘ vertagt werden. Zum Beispiel auf den (Vor-) Frühling.
Ach ja, in den Fitness-Studios ist es nämlich bekanntermaßen am Jahresanfang komplett überlaufen. Ich möchte nicht die Schweißtropfen eines stöhnenden Yoga-Nachbarn abbekommen. Es ist schließlich Erkältungs- und Grippezeit!!!! Ich passe einfach gut auf mich auf und für die Bikinifigur bleibt noch ein bisschen Zeit. Und dieser Winter ist irgendwie auch weder Fisch noch Fleisch. Wo bleibt das Winter-Wonderland? Die romantischen Abende auf dem zugefrorenen Kanal?
Ja, im März dann, perfekt, um dann endlich mit der supergeilen Instagram motivierten Morgenroutine zu starten. Die Vögel zwitschern, ich, meine Golden Milk oder ein Ingwertee (rein biologisch) in der Hand, die Yogamatte ausgerollt, Meditation, Achtsamkeit und ein bekanntes Fitnessmodel vor mir auf dem Computer, dem ich gleich nachturnen werde, um im Frühsommer meinen Traumbody am See zu präsentieren…. Ich atme tief ein und aus… und freue mich später auf einen veganen Snack… und träume mich so in meine Jahrespläne hinein…. Wirklich? Keine Ahnung, ich brauche auf jeden Fall meinen großen Milchkaffee mit ordentlich Koffein!
Ein Bewerbungsgespräch im Marketing artet in eine tiefenpsychologische Analyse meines Chefs in spe aus … ich fühle mich unwohl und denke mir: Nee, das passt nicht, aber jetzt mach einfach weiter. Das Jahr hat schließlich erst begonnen. Zwischendurch hört man in den Nachrichten irgendwas mit Corona. Klar, wieder in Asien. Was habe ich mich in all den Jahren schon mit der Schweinegrippe verrückt gemacht, als ich gerade in Miami war oder mit der Vogelgrippe, etc.
Anfang März geht’s dann los, aber anders …
Ich kam gerade mit einer Freundin von einem schönen Spaziergang und die hatte schon ordentlich Ängste geäußert und mir eine Flasche mit Desinfektionsmittel auf einer Café-Toilette entgegen gehalten. Ich dachte mir innerlich: Ist das nicht übertrieben? Doch in den folgenden Tagen, in denen ich eigentlich gerade richtig durchstarten wollte mit all meinen Plänen für 2020, überfluteten einen die Nachrichten. Pausenlos schaute ich mir die News an.
Mein Freund und ich gingen Anfang März noch mal auswärts italienisch Essen. Ich achtete auf ‚gut durchgekocht‘ statt Rohkost (schmeckt eh besser) und wusch mir zwischendurch hektisch die Hände. In dieser Zeit gingen bereits die Hamsterkäufe und eine Mischung aus Besorgnis und Aggression unter den Menschen los: In den Drogerie- und Supermärkten waren Seife, Klopapier und Desinfektionsmittel schnell ausverkauft. Viele versuchten das noch als ‚übertriebene Hysterie‘ zu belächeln (obwohl es einem innerlich mulmig war und man doch lieber ein paar Seifen mehr einpackte). Ein paar Tage später wagten wir es noch mal in ein Restaurant und als mich der Wirt umarmen wollte, erstarrte ich fast zur Salzsäule. Ich sagte: „Nein, wir müssen jetzt aufpassen.“ Daraufhin wurde ich ausgelacht. Wir tanzten am 07.03.20 ein letztes Mal vor der beginnenden Ausgangssperre in einer unserer Liebelings-Locations zu lauter Musik zwischen den anderen Gästen. Und da lag es schon in der Luft und keiner wollte es wahrhaben. Ich hatte trotzdem zum Abschied nur gewunken.
In der darauffolgenden Zeit überschlugen sich gerade in Europa die Ereignisse und Infektionszahlen. Und auch ich machte einen Hamsterkauf im Discounter, wo sich jeder um Klopapier zu bekämpfen schien, weil einem jeder sagte, man müsse mindestens zwei Wochen zu Hause versorgt sein, falls man nicht mehr raus darf oder kann. “ Die Zahl Zwei bekam eine neue Bedeutung: Zwei Wochen zu Hause bleiben können, bis zu zwei Wochen Inkubationszeit und ca. zwei Wochen mögliche Infektion. Zwei Meter Abstand, zwei Packungen sind besser als eine und zu zweit treffen nur im Notfall, weil wenn jemand zwei mal gehustet hat, ist er wahrscheinlich infiziert und … und …und …
Am Wochenende um den 21.03.20 bekam ich dann wirklich Beklemmungen, als Polizeiautos mit Lautsprecheransagen durch die Nachbarschaft fuhren und es unheimlich laut ertönte: Bitte bleiben Sie zuhause!!!! Die Stimme erinnerte mich an den Film 1984, bei dem mir schon damals in der Schule schlecht wurde. In diesem Moment dachte ich, eine Giftgaswolke sei über Stadt oder die Apokalypse hätte begonnen. Hubschrauber kreisten über dem Viertel. Ich begann zu weinen, weil ich das ganze Wochenende alleine war und es ja auch bleiben sollte. Was hatte das alles zu bedeuten? Die lieben Telefonate mit meinen Freunden beruhigten mich zumindest wieder ein bisschen… Meine Nachbarn und ich winkten uns an den Fenstern und riefen uns zu: Hoffentlich bleiben wir alle gesund! Pass auf Dich auf!